Interview mit einem Skinhead
Darf man so rumlaufen und sich dann beschweren,
wenn´s was drauf gibt?


Vor kurzem fragte mich Stjopa, ob ich nicht ein Interview mit ihm führen könnte. Die Redaktion hätte gern was Schriftliches von ihm, und da er keine Lust hatte selbst was zu schreiben dachte er, das Bequemste wäre, wenn ich ihn befragte. Das Ganze erwies sich als schwieriger als erwartet. Auf die Hälfte aller Fragen antwortete Stjopa, dass er keine Lust hätte darüber Auskunft zu geben, und dann wollte er auch noch nachträglich seine Antworten zensieren. Letzteres habe ich weitgehend verhindert. Auch wenn Stjopa es mir übelnimmt, wollte ich nicht nur Sachen schreiben, die überhaupt keinen Widerspruch mehr hervorrufen.

Es sollte nicht um die Basics zur Skinszene gehen, die sind wohl besser anderswo nachzulesen. Die Frage war eher, warum bestimmte Elemente einer Subkultur plötzlich von Homosexuellen aufgegriffen werden. Dabei können wir die sexuelle Komponente von dem, was hinter Skinhead auch immer steckt, nicht ausklammern. Die Schwierigkeit scheint mir zu sein, dass sich hier im Gegensatz zu anderen schwulen Bildern vieles mischt. Da ist zum einen eine Subkultur, die ja hauptsächlich von heterosexuellen Männern dominiert wird. Dann hat das eine soziale Dimension: Skins sind ja irgend eine Art Prolls (oder wollen das sein).

Eine Rolle spielt vor allem, womit die Medien das Bild Skin aufladen. Und schließlich und nicht zuletzt die Naziskins und die (angeblich) unpolitischen Skins und die (angeblich?) linken Skins, also die politischen Ziele, die Skins selbst vertreten (vor allem in Deutschland). Da kann sich die schwule Fantasie in kein so losgelöst metaphernhaftes Szenario stürzen, wie bei Bauarbeitern, Soldaten, Polizisten, Rockern, obwohl der reale Gehalt auch hier so manche Probleme mit sich bringt.

Der sexuelle Fetisch Skinhead ist eben nicht als solcher zu enttarnen. Es sei denn, der Fetischist legt es darauf an - was einer Selbstbezichtigung gleichkäme. Jeder andere Fetisch wird durch den Kontext des Ortes oder der Person des Trägers leicht erkennbar. Soldaten in Uniform tun nicht Dienst in Schwulenbars. (Noch schützt der Staat die Institutionen seines Gewaltmonopls ja auch.) Mir scheint, wir müssen uns ansehen, was mit der sogenannten Schwulenbewegung passiert ist, um zu verstehen, warum Skinhead unter Schwulen so attraktiv geworden ist. Homosexuelle werden in die Gesellschaft integriert. In jeder Fernsehsendung gibt es den Quotenhomo. Andererseits zerbröseln die Institutionen schwuler Sozialisation. Übrig bleibt eine Gay-Kultur auf der Suche nach den perfekten Konsumenten. Trotz dieser Integration bleiben die Ursachen der sexuellen Marginalisierung homosexueller Männer bestehen. Skinhead scheint hier gleich mehrere Auswege zu bieten. Erstens: der richtige Mann, nicht nur Verkleidung, wozu natürlich die Affirmation des gesamten Skinheadkults gehört. Zweitens, das männerbündlerische Element, das sozialen Zusammenhalt verspricht. Drittens, Entindividualisierung durch Uniformierung: ich bin nicht mehr das verantwortliche Individuum, das für die perverse Lust Rechenschaft ablegen muss. Viertens, der Gewinn an Selbstwert durch den (vermeintlichen) Radikalismus. Fünftens, die Konservierung der Ausgrenzung als Schutz vor der Integration: Ich bin das Opfer, das zum Täter wird, das deshalb wieder zum Opfer gemacht wird.... Hinzu kommen noch etliche spezifische Motivationen: für den Linken der underdog, für den Rechten white power, für den bürgerlichen der Proletkult, für die Tunte das Heteroimage, für den Perversen die Normüberschreitung.

Es sind wohl vor allem Schwule, die mit schwuler Identität nicht zurechtkamen, die zum Skinhead griffen, und jetzt vom Gayskin eingeholt werden. Die ersteren oder die letzteren nur als Fliegen auf dem Leim der Faschisten zu sehen ist zu kurz gegriffen. Konkrete Homosexuelle, die als Skinheads auftreten werden uns ganz unterschiedliche und widersprüchliche Konzepte ihrer (Ersatz-?) Identität anbieten. Deshalb willigte ich auch ein, ein Interview mit dem vielleicht etwas untypischen schwulen Skinhead Stjopa zu führen. Wenn es auch zu nicht ganz befriedigenden Ergebnissen führte, hoffe ich, dass zumindest ein nicht ganz so verstellter Blick auf die Innensicht eines schwulen Skins möglich wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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